Huaaah, gähn, gähn, gähn. In allen Online-Medien und deren feeds war gestern die große Schlagzeile zu lesen: “Christian Klar ruft zum Kampf auf!”.
Ich dachte schon: Hui! Da ist ja jemand fast so hartnäckig wie fastix (gnihihihi) und scheißt auf seine Freilassung… Respekt. Der Mann nimmt weitere unzählige graue Jahre im Knast für einen kleinen revolutionären Auftritt in Kauf. Das muss man erst mal bringen.
Als ich seinen Text dann gelesen habe, war ich fast etwas enttäuscht:
Liebe Freunde, das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz “Das geht anders” bedeutet – so verstehe ich es – vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.
Aber wie sieht das in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagandistische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden.
Trotzdem gilt hier ebenso: “Das geht anders”. Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen? Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen “Rettern” entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.
Es muss immer wieder betont werden: Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftigen Neugeborenen in ein Leben treten können, das die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potentiale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.
Ich lese hier kein Wort von bewaffnetem Kampf. Das ist doch ein vollkommen gemäßigter Text von einem, der auszog, die Welt zu verbessern, so was sage ich -zumindest sinngemäß – jeden Tag. Und er hat doch mit jedem Wort Recht – man mag ja den Kapitalismus aus einer gweissen Bequemlichkeit heraus mögen, wenn man auf der richtigen Seite der Kugel geboren wurde, aber da wo er auftaucht, werden – niemand will es wirklich bestreiten – Menschen ausgebeutet und die Natur zerstört. Und das ist doch wirklich Scheiße, mal so unter uns gesprochen.
Was aber, liebe Herren und Damen von der Presse, erwartet Ihr von einem wie Christian Klar? Dass er nach über 20 Jahren Zuchthaus als Turbokapitalist entlassen wird und Hanns Martin Schleyers Erbe antritt? Dass er aus dem Knast zum Kauf von VW-Aktien rät? Dass er die Linke beruhigt, weil Schäuble doch nur unser bestes will?
Aber auch die Damen und Herren aus der Politik melden sich natürlich eifrig zu Wort, dass man jetzt seine Freilassung überdenken müsse und all der ganze Tofu – was man halt von denen erwartet. Sie sind ja so fürchterlich durchschaubar und einfach gestrickt.
Aber zur Erinnerung seien dieser Spezies hier zwei Dinge kurz und ein für allemal ins Stammbuch geschrieben:
Herr Klar hat nichts weiter getan als seine Meinung zu äußern, was in der BRD (auf dem Papier, also jetzt mal rein theoretisch) erlaubt ist, von wegen Meinungsfreiheit und so. Ihr wisst schon, ja … genau das Dingens da.
Manch ein vorlauter Bub (oder Mädel) mag jetzt laut dazwischen rufen, dass Herr Klar aber ja genau wegen dieser antikapitalistischen Einstellung inhaftiert sei, aber das ist eine nicht zulässige Verdrehung der Tatsachen, denn wer sich genau erinnern mag, der weiß auch, wie sehr die Angeklagten der RAF darum kämften, dass ihre Taten im politischen Kontext wahrgenommen und vor Gericht verhandelt werden, worauf sich der Staat jedoch nicht einließ und so saß Herr Klar seine Strafe für ganz vulgären Mord ab. Sein Beitrag zur Rosa-Luxemburg-Gedenk-Rheumadecken-Veranstaltung hat aus dieser Perspektive nichts mit seinen Taten, nichts mit seiner Inhaftierung und ergo auch überhaupt nichts mit seiner Begnadigung zu tun.
Aus seinen Grußworten höre ich auch nichts verfassungsfeindliches, was eine weitere Inhaftierung rechtfertigen könnte. Instrumentalisieren kann man die ganze Entlassungs- und Begnadigungs-Debatte natürlich trotzdem: eignet sie sich doch hervorragend, mal wieder in Erinnerung zu rufen: Der Feind steht links.
A pro pos Verfassungsfeinde: Hat Herr Schily eigentlich schon öffentlich Reue gezeigt? Sonst können wir ihn nicht begnadigen.
Frau Mohnhaupt wünsche ich übrigens alles erdenklich Gute, vor allem, dass sie in der medialen Schlammschlacht um die Deutungshoheit ihrer Biographie nicht ihr Gesicht verlieren möge.