Eine Art Appell anlässlich des organisierten Überfalls von HSV-Hooligans auf Fans und einen Keeper des FC St. Pauli am vergangenen Sonntag Morgen und des anstehenden Derbys:
Ich finde nach wie vor, dass der FC St. Pauli ein ganz besonderer Verein und seine Fangemeinschaft eine außergewöhnliche ist und ich habe auch in minen Groundhopping-Jahren nie eine Atmosphäre erlebt, die der des Millerntors – damals und heute – wirklich nahe gekommen ist. Und nach wie vor ist das antifaschistische, antirassistische und antisexistische Selbstverständnis, die klare Positionierung gegen Homophobie in Stadien und die emanzipatorische Grundhaltung der Fans für mich ohne Alternative – ganz davon abgesehen, dass ich mit Leib und Seele ein lokalpatriotischer Norddeutschäh bin und norditalienische Vereine (ergo: südlich der Elbe zu Hause) zwar sympatisch sein, mir aber nie zur Identifikation gereichen können.
Nein, ich gehöre nicht zu denen, die den Kult um den FC St. Pauli in den 80ern begründet haben, ich war noch nicht dabei, als erstmalig im deutschen Fußball eine Konföderation aus Fans, Verein und Polizei die Faschos und Assoschläger aus dem Stadion vertrieben haben und ich war auch nicht der erste, der ein Totenkopf-Shirt getragen hat. Aber ich gehöre noch zu den Glücklichen, die den “Kult” Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrtausends erleben durften, als er noch wirklich authentisch war und der ROAAAAAR noch Gänsehaut verursacht hat, als es noch problemlos möglich war, eine Dauerkarte zu kriegen oder zu einem Top-Heimspiel 20 Karten für Freunde zu bestellen.
Heute wirkt etwas bestimmtes, das ich in den Neunzigern erlebt habe und das immer mehr Fans angezogen hat, so dass es selbst bei den gestiegenen Kapazitäten nahezu unmöglich ist, noch Karten im freien Verkauf zu bekommen, auf mich oft sehr gewollt (und nicht gekonnt) und trotzdem bleibt der FC St. Pauli für mich mein Club, meine große Liebe. Es sind mehr Leute, es sind andere Leute und jeder projeziert andere Erwartungen in die Community und ich will auch gar nicht schreiben, dass früher alles besser war, denn ich weiß natürlich: “Den Fußball in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf” , nein, ich akzeptiere es, dass sich auch am Millerntor einges geändert hat und sich weiterhin alles ändern wird. Ich respektiere die Arbeit der Ultra St. Pauli (USP), auch wenn die 24/7-Dauergesänge um Gottes Willen nicht meine Art Support sind (und auch nicht unbedingt die der Spieler, wie hier nachzulesen ist), ich respektiere auch die sogenannten Modefans oder die, die halt einfach nur mal diese “goile Atmosphäre” schnuppern und zehn bis 30 Bier trinken möchten. Mich stören nicht mal wirklich die VIP-Logenbesitzer, so sie denn raffen, dass den FC St. Pauli zu supporten, zur Familie dazuzugehören, ein Braun-Weißer zu sein, eben nicht nur hip und kult ist, sondern auch ein Statement für Vielfalt und für ein soziales Miteinander – auch außerhalb des Stadions (im Zweifel bitte hier mal “alles” nachlesen: “100 Jahre FC St. Pauli – 75 Jahre Schnarchsack, 25 Jahre Punkrock und antifaschistische Politik im Stadion…”).
Es ist – vor allem nach dem Aufstieg in das Oberhaus des deutschen Fußballs – überall, genug und alles über den “Kult”, über das “Freudenhaus der Liga” oder “den etwas anderen Club” und darüber, wie er sich im Zuge der Kommerzialisierung und Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit verändert hat, geschrieben worden. Was mich aber Anfang der Neunziger neben der antifaschistischen Grundhaltung der St. Pauli-Szene wirklich am allermeisten geflasht hat, war die ausgelassene Gelassenheit im und um das Stadion herum, ob auswärz oder zu Hause. Ich erinnere mich, dass uns Team Green in Meppen angeboten hat, unsere Rucksäcke, die wir nicht mit ins Stadion nehmen durften, während des Spiels in einer Wanne zu bunkern. Ich erinnere mich, dass ich mit Skull-Shirt nie wirklich einer willkürlichen Staatsmacht gegenüberstand. Ich erinnere mich, dass am Millerntor selbst bei Problemspielen gegen die gefürchteten Ostclubs etwa, in der gesamten Gegengeraden drei fußballinteressierte Polizisten ohne Helm und ohne Panzer (dafür aber serienmäßig natürlich mit Schnauz) Aufsicht hatten und wir Echtbier getrunken haben, während die gegnerischen Halbaffen eingegittert und von einer Hundertschaft bewacht, sich an Quench mit so etwas ähnlichem wie Biergeschmack labten, also alkoholfreies trinken mussten, daran, dass wir uns nach Spielende im Vereinsheim, auf dem Kiez oder sonst wo verlustierten, während aggressive Gegner in Busse und Bahn gekesselt wurden und die dritte Halbzeit mit Team Green ohne Beteiligung der braun-weißen unter sich ausgemurmelt haben. Ich fand es beim Fußball schon immer wirkungsvoller, die Faschos, die so gern zum Provozieren und Prügeln nach St. Pauli kamen, totzulachen, als sich mit ihnen nach dem Spiel zu hauen.
Selbstverständlich ist mir klar, dass sich auch an der Haltung der Polizei bei Einsätzen am Millerntor etwas geändert hat, dass es vielschichtige Gründe gibt, warum sich das Verhältnis zwischen Team Green und den Boys & Girls in Brown so sehr verschlechtert hat, dass nicht nur (aber auch) die Fans verantwortlich dafür sind, warum auch wir jetzt massiv kontrolliert, bewacht und zum Teil schikaniert werden. Und ich halte es nach wie vor für legitim und notwendig, bereit zu stehen, wenn Hooligans ankündigen, den Kiez nach dem Spiel aufmischen zu wollen und es gibt auch grenzwertige Situationen, wo ein Eingreifen der Fans notwendig wird, wenn von Seiten der Polizei und Ordnerschaft nichts passiert, wie im Heimspiel 2006 gegen Chemnitz (wobei ich diesen Artikel so heute nicht mehr schreiben würde) und selbstverständlich ist es eine Pflicht, sich und andere gegen Übergriffe Dritter notfalls auch mit körperlichen Verweisen zu schützen. Aber es häufen sich Vorfälle, die zeigen, dass der Massenandrang beim magischen FC genau diesen von mir so geschätzten Teil des vermeintlichen Kultes empfindlich gestört hat. Die bekannten Bilder aus Rostock seien da beispielhaft angeführt, ich wunderte mich auch über Straßenschlachten mit der Polizei nach dem vorletzten Gastauftritt der Rostocker in Hamburg, nachdem (sic!) die Hools von der Ostsee schon gar nicht vor Ort waren, man liest sogar von nicht provozierten Übergriffen von St. Pauli-Fans auf den gegnerischen Anhang, der – um es gleich vorweg zu nehmen – nichts mit rechtsextremen Vollspacken am Hut hatte sondern offensichtlich nur den falschen Verein supportete. Gewalt als Selbstzweck ist – schreibt Euch das gefälligst hinter die Löffel, Kids – auch unter dem Deckmantel des Antifaschismus schlicht kontraproduktiv und – bzw.: weil – asozial.
Ich mache mir weniger Sorgen um homophobe Klappspaten, um Sexisten und Rassisten und anderes, ähnlich geartetes asoziales Gesocks, das sich vereinzelt mittlerweile wieder im Stadion tummeln soll, weil ich glaube, dass es die Selbstreinigungskräfte dieser unserer emanzipatorischen Szene schaffen, solche Leute wieder aus dem Stadion zu bekommen, falls ihnen die “politische Korrektheit” und das “Gutmenschentum” der aktiven Fans nicht so wie so irgendwann dermaßen auf den Wecker gehen, dass sie das Umfeld des FC St. Pauli von allein wieder verlassen.
Ich mache mir Sorgen, dass irgendwelche übereifrigen schwarz gekleideten Randale-Kiddies mit oder ohne Skull-Kappus und braun-weißen Socken glauben, einen vermeintlichen Kult zu zelebrieren, in Wirklichkeit aber etwas zerstören, von dem sie nie gewusst haben, dass es das gibt.