Die letzten Tage des Jahres drehten sich im Hause der pantoffels vornehmlich um Sylvester. Wer kommt? Wer nimmt was mit? Wer schläft wo? Und vor allem: Kauft Papa dieses Jahr auch Chinaböller? Wenn ja, welche? Auch Kanonenschläge? Gibts ausnahmsweise auch Cola? Können wir Malzbier haben? Dürfen wir mitkommen und Feuerwerk aussuchen? Dürfen wir Knaller anzünden?
Am 31. begann der Tag im Grunde mit warten auf den Abend. Über den Nachmittag hinweg trudelte langsam der Besuch ein, es gab – ganz traditionell – Berliner, dazu Sekt für die Großen und kohlensäude- und koffeinhaltige Getränke für die Mittelgroßen und – wie immer – Apfelschorle für die Kleinsten. Es wurden Matratzen gerückt, Schlafsäcke wurden ausgerollt, Babybetten gebaut. Gegen 17:00 Uhr, als es langsam dunkler wurde, machten sich alle Kinder und einige Erwachsene daran, sich zu verkleiden, es wurden Rummelpott-Lieder einstudiert, Wunderkerzen erleuchteten den Garten für all die, die schon fertig waren und auf den Rest warteten. Als wir verkleidet durch das Dorf zogen, in dem es aus allen Ecken knallte, heulte und zischte und wir bei ausgesuchten Bewohnern klingelten, um unser Liedgut zum Besten zu geben und der kleinen Leute Naschisäckchen üppigst zu füllen (“Und die Erwachsenen? N lütten Schnaps?” “Klar!”), trafen wir alles, was in unserem Dorf Rang und Namen hat – ebenfalls verkleidet zogen sie alle singend und böllernd um die Häuser. In allen Wohnungen war es festlich geschmückt, alle waren guter Stimmung und man wünschte sich quer über die Straßen brüllend einen guten Rutsch.
Irgendwann trafen wir wieder in heimatlichen Gefilden ein, die Kleinen sortierten Ihre Beute nach Leckerheitsgrad, ein wilder Tauschhandel florierte, die Großen bereiteten ein festliches Mahl an der großen, geschmückten Tafel vor. Wir speisten und tranken fürchterlich fürstlich. Hernach wurden Spiele gespielt, Luftschlangen geblasen, Knallerbsen zerdeppert, wir gossen Blei und freuten uns des Lebens.
Um 23:45 Uhr gingen wir alle auf die Straße, auf der nun wiederum ein noch bunteres Treiben herrschte: Alle Nachbarn inklusive deren Feierbesuch standen dort, alle bereiteten die mitternächtliche Knallerei vor, gossen Sekt und Fanta ein, scherzten und lachten, stießen an und sangen schmutzige Lieder.
Inmitten der Knallerei und dem Aufsteigen bunter Raketen, als dieses Treiben offensichtlich auf dem Höhepunkt war, lagen sich alle in den Armen und wünschten sich gegenseitig das allerbeste, Papa und seine Freunde bliesen Feuerwerk für gefühlte siebeneinhalb Milliarden Zloty in die Luft, alle Nachbarn taten es ihnen gleich, der Himmel erleuchtete für lange Minuten in den prächtigsten Farben, eine wunderschöne Szenerie, die sich in Deutschland eben wirklich nur an Sylvester abspielen kann war das. Als alles Feuerwerk verschossen war und langsam so etwas ähnliches wie Stille einkehrte in die Siedlung, ließen wir in aller Ruhe eine Sky-Laterne steigen, in die jeder seine Wünsche flüstern durfte. Um eins etwa war der Spuk vorbei und wir brachten unser fünfeinhalbjähriges pantoffelpünkchen ins Bett, das zu diesem Zeitpunkt etwa 12 Stunden volle Party hinter sich gebracht hatte. Als er bereits im Bett lag, ging ich noch einmal zu ihm, um nachzuholen, was wir beide im Trubel der Ballerei und Wünscherei verpasst hatten. Ich nahm ihn in den Arm und wünschte ihm ein frohes neues Jahr.
“Frohes neues Jahr? Wieso?”
Sprach´s, schloss die Augen und ward bis zum nächsten Morgen um 11:00 Uhr nicht mehr gesehen.