Die Sozialpädagogisierung der Sprache
19. September 2007, 22:21 Uhr von pantoffelpunkIch erwähnte es hier, dass die Benutzung der Termini “ein Stück weit”, “betroffen” und vor allem die Kombination der beiden “ein Stück weit betroffen” noch Mitte der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts SozialpädagogInnen mit großem i und Mitgliedern bei Vollmond gegründeter Häkelgruppen vorbehalten war, bevor dieses triefendschleimige Vokabular den Siegeszug in die verweichlichte oder zu verweichlichende Gesellschaft antrat.
Dieser verwerfliche Sprachgebrauch tropfte und quoll qua emotionaler Tiefflieger wie junggebliebenen Human-Ressource-Manager trendiger Internet-Startups und deren Sprüchen wie “Den Spirit der Company ein Stück weit zu atmen, das ist das MUST in unserer Branche!” oder eben hilflosen Politkaspern mit “Die Vorfälle in Rostock Lichtenhagen haben mich betroffen gemacht und gerade darum stimmte ich damals für die Änderung der Asylgesetze!” in die letzten Ritzen eines Volkes, dessen Leben mit einem guten Vorabendprogramm steht und fällt.
Und das finde ich sehr schlimm.
Ungleich schlimmer jedoch ist eine immer häufiger auftretende, mittlerweile schier unerträgliche Sprachmarotte. Eine ekelerregende Vokabel, die mein sprachästhetisches Empfinden penetriert und mit Hilfe dessen sonst komplett gefühlstote Key Account Manager wie auch strunzendumme Berufsfußballer oder sonstige blutleere Spucker “total menschlich rüberkommen” zu gedenken.
Das Bauchgefühl. Bauchgefühl! “Ich habe das nach meinem Bauchgefühl entschieden!” Das muss man sich mal auf der Zunge vorstellen! Nochmal? O.K.: Bauchgefühl!
Ja, Herr im Himmel, wo fühlt man denn sonst? In der linken Schulter?
“Ja gut, ääääääh, ich habe den Schapapapah in der 89. Minute noch eingewechselt ääääh, weil mir mein ääääääh Linkesschultergefühl gesagt hat äääääh, der macht heute noch sein Tor.”
oder
“Schon beim Vorstellungsgespräch hatte ich so ein dummes Kniegefühl und das hat sich am Ende bestätigt, der war gaaanz schlecht, jetzt habe ich ihn gefeuert!”
Na, Bauchgefühlbenutzer? Dämmert´s langsam? So von wegen tote Leiche und weißer Schimmel?
Noch ein Beispiel: “Dass der Franz Josef Jung nicht alle Latten am Zaun hat, war mir von Anfang an klar. Als ich den das erste mal gesehen habe, hatte ich sofort so ein komisches Arschgefühl!”
Na gut, hier passt es ausnahmsweise. Aber auch nur ein Stück weit.