In der Schule gab es auch immer so windelweiche Spucker, die schon bevor der Lehrer nach den Verursachern von Ärger gefragt hat, laut schnipsend “Ich war das nicht! Ich war das nicht!” gerufen haben.
Am liebsten hätten sie auch noch gepetzt und Namen genannt, aber dafür waren sie dann doch wieder zu feige.
Wenn Sie sich im Fernsehen betroffen wähnen, weil die Randale in Rostock dem bunten und kreativen Protest einen Bärendienst erwiesen hätten, dann kommt es mir ein bisschen so vor, als würden Sie etwas noch nicht ganz mit bekommen haben: Sie sind gar nicht Teil des Protestes in Rostock und anderswo – Sie sind eine von denen, gegen die da protestiert wird. Remember 7 Jahre rot-grün.
In Heiligendamm beraten Leute, die rein formell dafür verantwortlich zeichnen, dass auf der Welt…
1. …jedes Jahr etwa 17 Millionen Menschen sterben, weil es an Medikamenten mangelt.
2. …täglich etwa 24000 Menschen an den Folgen des Hungers sterben .
3. …täglich mehr als 30000 Kinder an Krankheiten sterben, die zumeist vermeidbar wären.
Herr Seehofer will mit aller Macht an dieselbe, doch einige seiner Parteikollegen wollen das verhindern und reiten auf seiner Geliebten herum, muharrharr, also, ich meine: Auf der ach so unchristlichen Affäre.
Hier hat mir der wunderbare mkorsakov ein Bild gewidmet, und ich versteh das so, dass ich das hier – passend im zeitlichen Kontext – veröffentlichen darf.
Im Focus Nr. 21 vom 21. Mai 2007 analysieren Sie die Wahlergebnisse von Bremen und unterschreiben die Überschrift mit “Die Sozialisten punkten bei Verlierern und Alternativen”
Diese abschätzige und zutiefst undemokratische ExegeseEisegese, die mit einem Satz die Linkspartei für Ihre Zielgruppe unwählbar machen soll, vertiefen Sie im darauf folgenden Artikel wie folgt:
Sie halten also Lehrer, Studenten und Sozialpädagogen für Verlierer. So weit, so dämlich. Wie aber, Herr Markwort sehen in Ihren Augen Gewinner aus? So etwa:
Das ist nicht Ihr Ernst, oder?
Wenn Sie die Linkspartei – also auch die West-Verbände – immer noch und immer wieder als Erben der SED bezeichnen, wäre es dann nicht nur konsequent, die CDU auch nach wie vor als Erben der NSDAP zu benennen? Immerhin war in Adenauers Parlament jeder achte Abgeordnete ehemaliges NSDAP-Mitglied und wollen wir wetten, Herr Markwort, dass diese Quote höher ist, als die der ehemaligen SED-Mitglieder in der Bremer Linkspartei?
Und an alle Blogwarte: Nein, ich habe im neuen Focus nicht recherchiert, ob es zu diesem Thema schon einen Leserbrief gab und ich habe auch nicht die Focusredaktion angerufen.
“Und vier Monate später stand in Springer’s heißem Blatt,
das Georg-von-Rauch-Haus hat eine Bombenwerkstatt.
Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein
und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollis sein.”
In meiner politisch hochaktiven Zeit waren noch deutlich die Nachwehen der Hysterie um RAF, Brokdorf und Startbahn West zu spüren. In meiner Welt schien es nur ängstliche und oder oder knüppelgeile Polizisten zu geben. Überhaupt waren die Fronten in der Gesellschaft geklärt: Der Irokesenschnitt, Kleidung mit Löchern und roten Sternen sowie Piercings jenseits der Ohrläppchen waren noch Zeichen der Ablehnung …
… der normalen gesellschaftlichen Konventionen (Fußballstars trugen damals noch Vokuhila), ich glaubte, die deutsche Gesellschaft würde besser werden, wenn die Grünen genügend Stimmen bekämen und insgeheim habe ich sogar gehofft, die SPD würde die Wahl gewinnen, damit Birne nicht Kanzler wird und eine SPD-geführte Regierung zwar ganz und gar nicht gut, aber immerhin besser als eine Kanzlerschaft des dicken Saumagenfestischisten gefunden. Überhaupt schien mir die politische Landschaft noch geprägt von politischen statt von Marketinggrundsätzen. Der DGB drohte im Falle einer deutschen Kriegsbeteiligung mit Generalstreik und für alle, die sich links der CDU befanden, war das offensichtlich eine klare Geschichte, denn die waren auch geschlossen gegen die Verteidigung Deutschlands am Tigris. Im kleinen kalten innerdeutschen Krieg wurde ich ich mehr als einmal einfach so und grundlos an- und für die eine oder andere Stunde aufgehalten, personenkontrolliert und musste zusehen, wie unser Auto auf den Kopf gestellt wird. Das war das Ergebnis der ersten Antiterrorgesetze – bei “Gefahr in Verzug” durfte wegen der bösen RAF die Polizei ohne Durchsuchungsbeschluss und Anfangsverdacht jederzeit solche Kontrollen durchführen. Und Menschen wie ich waren ja ein Gefahr. Die rote Gefahr! Überhaupt, Leute die den Staat kritisierten, wurden seinerzeit allenthalben aufgefordert, doch nach drüben zu gehen, wenn´s ihnen hier nicht gefiele. Erstens, weil es damals noch ein “drüben” gab und zweitens, weil die, die Staat und Regierung kritisierten, natürlich Kommunisten und Sozialisten waren. Der Rest war glücklich und zufrieden mit Brot, Spielen und Kleinwagen. Und dann gab es da natürlich noch die Hausbesetzungen sowie die entsprechenden Räumungen und viele andere Reibungspunkte. Damals.
Nach den Demonstrationen gegen die Pogrome von Rostock, Solingen, Hoyerswerda (Claudia Schiffer: “Was ist das? Eine Farbe?”), Mölln etc. und vor allem in Berlin sowie dem Mord an Wolfgang Grams dem Zwischenfall in Bad Kleinen, bei dem mit Frau Hogefeld eine der wohl letzten aktiven Terroristinnen festgenommen wurde, wurde es etwas ruhiger um die linke Szene (was wahrscheinlich nicht ursächlich daran lag, dass auch ich etwas ruhiger wurde und es Demos gab, an denen ich nicht teilgenommen habe) – zumindest was Aktivitäten angeht, bei denen der Staat sich aus Angst vor feindlicher Übernahme von links in derber Manier zu intervenieren und die Presse in gleichem Maße gegen “links” zu hetzen genötigt sah.
In der Zwischenzeit bin ich wohl auch so was wie erwachsen geworden und meine Lebensumstände haben sich – wie bei einigen Mitstreitern (Venceremos, Genosse!) auch – ziemlich geändert. Manch ein Zeitgenosse macht diesen Zustand des Erwachsenseins gern am Verlust linker, humanistischer oder gerechtigkeitssuchender (call it what you want!) Ideale fest, was vor allem am Beispiel Horst Mahlers sehr lustig anmutet. Diese Ideale habe ich nie verloren, aber ich geriet in die Lage, (begrenztes) Verständnis für gänzlich divergierende Meinungen aufzubringen, wenn es auf Gegenseitigkeit beruhte und ich mit meinem Gegenüber zumindest einen kleinsten gemeinsamen Nenner in einem ähnlich zumindest im Ansatz humanistisch ausgerichteten Weltbild finden konnte. Und vielleicht fand ich als harmoniesüchtige Sozialschwuchtel diese scheinbare Ruhe im Sinne von “leben und leben lassen” ganz angenehm. Aber auch auf der politischen und medialen Bühne hatte sich ja einiges geändert, die BILD titelte mit dem Umfall-Kanzler und schrieb kurz vor Anno Schröder den wahrscheinlich ersten CDU-kritischen Bericht seit Bestehen des Blattes, was ja mittlerweile tatsächlich in Politiker-Gebashe ausgeartet ist. Im Vergleich zu denen, die nach drüben gehen sollten, fehlen natürlich entsprechende Gegenentwürfe, aber mit der BILD ist das Gejammer über diesne Staat ja mittlerweile sogar Mainstream-Sport geworden. Die Grünen haben in der Zwischenzeit Kriegseinsätze der Bundeswehr zu verantworten und kuscheln mit der CDU, während die SPD die CDU gern rechts überholen würde, wenn nicht Oettinger und Konsorten ständig den Standstreifen blockierten und der Hessenhitler faselt im Stern-Interview von einem sich ändernden Familienbild und fabuliert stolz, dass er selbstverständlich seine Kinder gewickelt hätte.
Alles hat sich im Laufe der Jahre mit allem gepaart, jeder kann mit jedem, es wird adaptiert und koaliert und mashups geben sich ein Stelldichein. Herausgekommen ist die links und rechts überspannende und schier unerträglich politisch-gesichtslose und damit überhaupt nicht angreifbare Glubsche namens politische Mitte, in der sich irgendwie jeder zu Hause fühlt, weil es eben keinen Unterschied mehr macht, auf welcher Seite man steht. Und manchmal fühlte ich mich in meinem kompromissreichen Dasein voller respektieren, akzeptieren und tolerieren fast wie ein Teil davon. Aber jetzt, da mit dieser vollkommen amorphen Masse politisch scheinbar alles mach- und nichts mehr undenkbar ist, kommen Sie, Herr Schäuble, Herr Söder, Herr Stoiber, Herr Müntefering, Frau Zypries, Herr Beck, Frau Merkel und all Ihr anderen mit Ihren grenzdebil faschistoiden, großdeutschen Allmachts-Ideen sowie Ihrer schonungslos ehrlichen Definition von Linksextremismus und Sie klären damit endlich mal wieder die Fronten. Sicher, man könnte auch behaupten, sie würden nichts anderes tun, als das, was sie seit Jahren tun, nur professioneller und klarer: Nämlich spalten, dass es eine Art hat, aber ich will das positiv sehen: Die Menschen scheinen wieder das Bedürfnis zu bekommen, sich für eine Sache zu entscheiden, einen Standpunkt deutlich zu machen, sich abzugrenzen. Und das tun sie. Man will, ich muss da immer noch herzlich drüber lachen, Nazis ganz feste wegwünschen. Ein Anderer wirbt für die Auseinandersetzung mit politischen Themen, aber lieb muss es sein und wer einen Autoreifen ankokelt, was in den klassischen Medien von hier nach dort vollkommen übertrieben “Anschlag” genannt wird, dem fehlt es nicht nur an Intelligenz, er ist gar ein Bombenidiot (sic!, ebendort der Kommentar von Cati Basmati) usw. usf. etc. pp.
All dieses Distanziere und Gespalte und Bessergewisse brachte mich dazu, wieder einmal in meinen alten Platten zu wühlen und die “Hymnen” in der Sidebar um eine zu ergänzen:
Und endlich, Herr Schäuble, Herr Söder, Herr Stoiber, Herr Müntefering, Frau Zypries, Herr Beck, Frau Merkel und all Ihr anderen, bin ich wieder zu Hause. Und dafür wollte ich einfach mal “Danke” sagen.